TA-Swiss 18.08.2021, 07:18 Uhr

Wie die Digitalisierung der Demokratie dienen kann

Die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss hat die Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie untersucht und die Ergebnisse in einem nun veröffentlichten Bericht zusammengetragen.
(Quelle: Mohamed Hassan/Pixabay)
Die Digitalisierung eröffnet neue Kanäle, um Menschen am politischen Diskurs teilhaben zu lassen. Sie kann aber Ungleichheiten in der Partizipation zementieren, sozialen Medien einen unverhältnismässigen Einfluss und Fehlinformationen eine höhere Wirkung verleihen.
Dies schreibt die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss in ihrem dieser Tage vorgelegten Bericht zu den Chancen und Risiken der Digitalisierung für die Demokratie
Zwar beeinflusse die Digitalisierung derzeit kaum, ob «Schweizerinnen und Schweizer den Daumen bei den Abstimmungen nach oben oder nach unten halten», schreiben die Studienautorinnen und -autoren. Nichtsdestotrotz attestiert TA-Swiss der Digitalisierung ein grosses Potenzial, die Demokratie grundlegend zu verändern. 
So erlaubt die Digitalisierung aus Sicht der Experten einen «schnelleren, umfassenderen und weniger selektionierten Zugang zu politischer Information». Das unterstütze die freie Meinungsbildung, Gruppen, die sich bisher nur wenig am politischen Prozess beteiligt hätten, könnten leichter mobilisiert werden und Minderheiten ihre Anliegen kundtun. 

Digitale Gräben verhindern 

Allerdings, warnen sie, könnten mit der Digitalisierung vor allem politisch bereits aktive Bürgerinnen und Bürger angesprochen werden. Das würde bestehende Partizipationsmuster und sozioökonomische Ungleichheiten zementieren - oder gar verstärken. Auch seien nicht alle Bürger und Politikerinnen auf Online-Plattformen aktiv. 
Deshalb sollten digitale Partizipationsprozesse aus Sicht der Autoren immer auch eine analoge Komponente aufweisen. Zudem solle der Bund sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Fähigkeit haben, sich im digitalen Raum Informationen zu beschaffen und einzuordnen. Auch sollten die jeweiligen Plattformen intuitiv und in einfacher Sprache zu bedienen sein. 
Es sei eine Aufgabe, digitale Gräben nicht entstehen zu lassen, sagte denn auch Altbundesrat Moritz Leuenberger, Leiter der Begleitgruppe und Präsident des Leitungsausschusses von TA-Swiss, bei der Präsentation des Berichts vor den Medien. 
Er wies auch darauf hin, dass sich die Geschwindigkeit der Digitalisierung nicht auf die Demokratie übertragen lasse. Zwar könnten Referenden innert Rekordfrist ergriffen werden. Doch damit Stimmbürgerinnen und Bürger sich ihre Meinung bilden und allenfalls ändern können, brauche es Zeit. 

Gräben bei Jugendlichen teilweise überwunden 

Der Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ) untersuchte für den TA-Swiss-Bericht am Beispiel von engage.ch, wie und welche Jugendlichen und jungen Erwachsenen sich auf digitalen Plattformen in den politischen Prozess einbringen. Demnach können gewisse Gräben, die offline bestehen, überwunden werden, sagte Jasmin Odermatt vom DSJ: «Unabhängig von Sprache, Bildungs- und Migrationshintergrund partizipieren die Jugendlichen auf der Online-Plattform gleich stark.» Allerdings blieb der Graben zwischen Männern und Frauen bestehen - erstere reichten über die Plattform mehr politische Anliegen ein. 

Viele Meinungen zentral für Demokratie 

Grundsätzlich vereinfachen die Sozialen Medien die Teilhabe am politischen Diskurs. Doch durch sie könnten gezielt gestreute Falschnachrichten eine hohe Wirkung entfalten und die Polarisierung der Gesellschaft verstärken, so die Autoren. 
Sie empfehlen daher beispielsweise von unabhängigen Stellen durchgeführte Faktenchecks. Auch sei der Bundesrat dazu befähigt, im Falle von massiven Falschkampagnen vor Abstimmungen Stellungnahmen zu veröffentlichen, sagte die Mitautorin der Teilstudie des Forschungsinstituts gfs.bern und Rechtsprofessorin Nadja Braun Binder von der Universität Basel gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Falschinformationen gänzlich zu unterbinden sei allerdings nur dann möglich, wenn es die gesetzlichen Grundlagen erlauben würden, etwa, wenn sich jemand diskriminierend oder ehrverletzend äussere, so die Expertin für Digitalisierung in Staat und Verwaltung. Andernfalls gelte im digitalen Raum wie in der realen Welt das Recht auf freie Meinungsäusserung, auch wenn sie falsche Tatsachen widerspiegle. So sagte auch Urs Bieri vom gfs.Bern vor den Medien, dass freie Meinungsbildung im Prinzip nicht darauf angewiesen sei, dass es nur wahre Informationen gebe, sondern viele Meinungen. 
Neben den Studien vom gfs.bern und des DSJ erarbeitete der Zürcher Think Tank «Dezentrum» für TA-Swiss-Bericht zudem Zukunftsszenarien zur digitalen Demokratie im Jahr 2050.



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