Geraldine Kraev von S-GE im Interview
02.10.2018, 14:30 Uhr
«Die Schweizer ICT-Unternehmen sind unglaublich engagiert»
Heimische ICT-Unternehmen entwickeln Produkte und Services für Abnehmer in aller Welt. Im Interview spricht Geraldine Kraev, ICT-Sector-Expert bei Swiss Global Enterprise, über die Bedeutung von ICT-Exporten für die Wirtschaft, Schweizer Unicorns und Herausforderungen am internationalen ICT-Markt.
Die Schweiz steht für Innovation, Hightech und gut ausgebildete Fachkräfte. Doch was bedeutet das konkret? Wo liegen die Stärken und Schwächen der heimischen ICT-Branche am internationalen Markt? Hierüber spricht Geraldine Kraev, ICT-Sector-Expert bei Swiss Global Enterprise (S-GE).
Computerworld: Wie wichtig ist der Standort Schweiz für den internationalen ICT-Markt?
Geraldine Kraev: Der Schweizer ICT-Markt ist international sehr bedeutend, er hat sich vor allem in Bereichen wie Forschung und Entwicklung sowie Krypto einen Namen gemacht. So hat sich beispielsweise in der Zentralschweiz das «Crypto Valley» mit einem starken Ökosystem entwickelt. Aufgrund der guten Voraussetzungen in unserem Land haben sich auch ICT-Schwergewichte wie Google, Siemens, HP oder Dell hier niedergelassen. Die ICT-Branche in der Schweiz entwickelt sich enorm und mit den Talentschmieden der Computer Science Abteilungen an der ETH Zürich und der EPF Lausanne werden erstklassige Spezialisten ausgebildet, was unter anderem zu einer florierenden Start-up- und Spin-off-Szene führt.
CW: Wie sieht es mit den heimischen Anbietern aus? Wie schätzen Sie die Bedeutung der Schweizer ICT-Branche für die Schweizer Exportwirtschaft ein?
Kraev: Die Schweizer ICT-Branche ist ein wichtiger Treiber für die Exportindustrie. Zum einen liefert sie wertvolle Anwendungen, wovon nahezu alle Branchen profitieren und ihre Produktivität im In- und Ausland steigern können. Zum andern ist die ICT-Branche selbst eine erfolgreiche Exportbranche. Gemäss den aktuellsten Zahlen exportierten Unternehmen des Schweizer ICT-Sektors im Jahr 2016 Waren und Dienstleistungen im Wert von 19,5 Milliarden Franken. Der kontinuierlich wachsende ICT-Dienstleistungsbereich bleibt mit einem Exportumsatz von 13,1 Milliarden Franken die fünfwichtigste Dienstleistungsexportgruppe der Schweiz.
CW: Hierfür braucht es entsprechende Spitzenprodukte und Services. Wie bewerten Sie die Innovationsstärke der Schweizer ICT-Branche im internationalen Vergleich?
Kraev: Generell zeichnen sich Schweizer Unternehmen durch eine enorme Innovationskraft aus. Seit mehreren Jahren führt die Schweiz die Rangliste des Global Innovation Index an. Die Schweizer ICT-Branche kann sich im internationalen Vergleich auch durchsetzen. Mit einem starken Ökosystem, einem attraktiven Angebot für internationale Talente und führenden Entwicklungen in spezifischen Fachgebieten wie beispielsweise künstliche Intelligenz (KI) oder maschinelles Lernen (ML) sticht die Schweiz hervor und leistet einen wichtigen Beitrag.
CW: In welchen Marktsegmenten spielen Schweizer ICT-Firmen international eine führende Rolle?
Kraev: International überzeugt die Schweiz in verschiedenen Bereichen: Expertisen in künstlicher Intelligenz respektive Machine Learning, Robotik, Datensicherheit und Datenanalyse sowie Krypto tragen zum Ruf der Schweiz bei. Es sind oft die Fachexperten, welche die führende Rolle der Schweizer Firmen erkennen und schätzen.
CW: Welches sind derzeit die grössten Herausforderungen Schweizer ICT-Firmen, die international durchstarten wollen?
Kraev: Für ein erfolgreiches Geschäft ist es absolut zentral, den Mehrwert seines Produktes oder seiner Dienstleistung zu kennen sowie diesen im internationalen Umfeld entsprechend zu kommunizieren und zu positionieren. Schweizer Produkte werden oftmals als teuer angesehen, umso wichtiger ist es, den potenziellen Kunden den Mehrwert aufzuzeigen. Die potenziellen Kunden müssen verstehen, wodurch sich das Produkt von der Konkurrenz abhebt und weshalb sich die Investition lohnt. Dafür müssen sich die Unternehmen intensiv mit dem Zielmarkt, der potenziellen Kundschaft sowie der Konkurrenz auseinandersetzen.
Es braucht mehr als nur Swissness
CW: Inwieweit trägt der Faktor Swissness zu Erfolg oder Misserfolg bei?
Kraev: Produkte mit «Swissness» haben international einen guten Ruf, sie werden als qualitativ hochwertig und innovativ angesehen. Das Label ist nach wie vor ein Verkaufsargument. Aber wie bereits erwähnt, mit Schweizer Produkten werden oft aber auch höhere Preise in Verbindung gebracht. Schweizer Unternehmen müssen ihr Alleinstellungsmerkmal kommunizieren und positionieren, der Faktor Swissness alleine reicht für eine erfolgreiche Internationalisierung nicht aus.
CW: Wie unterstützt S-GE Schweizer ICT-Unternehmen am Weltmarkt?
CW: Wie unterstützt S-GE Schweizer ICT-Unternehmen am Weltmarkt?
Kraev: Wir komplementieren die Strategien der Firmen und begleiten die Unternehmen in neue Märkte, indem wir Marktinformationen und Know-how zur Verfügung stellen, bei der Suche nach Geschäftspartnern helfen oder Unternehmen über rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen aufklären. Wir organisieren auch regelmässig Events oder Business Trips, um die Unternehmen auf Geschäftspotenziale aufmerksam zu machen und bei schnellem und effektivem Networking zu helfen. Soeben planen wir unseren Auftritt am Singapore Fintech Festival. Wir organisieren vor Ort einen Swiss Pavilion, so dass Schweizer Fintech-Unternehmen unter der Dachmarke Schweiz ihre Produkte und Dienstleistungen präsentieren und sich vernetzten können. Mit einem Swiss Pavilion sind wir im Januar 2019 auch an der Consumer Electronics Show in Las Vegas vertreten. Für Firmen, die an der Messe nicht ausstellen, sie aber besuchen möchten, organisieren wir eine Unternehmerreise nach Las Vegas und ins Silicon Valley. Einen Überblick über unsere Aktivitäten finden Firmen auf unserer Webseite www.s-ge.com/computerworld oder auf unseren Social Media Kanälen.
CW: Früher hiessen die ICT-Topshots Kudelski, Noser Engineering, Logitech. Wer sind die aus Ihrer Sicht derzeit spannenden ICT-Topshots mit internationalem Erfolg?
Kraev: Die von Ihnen genannten Unternehmen sind nach wie vor sehr bedeutende Firmen der Schweizer ICT-Branche. In der Zwischenzeit kann sich die Schweiz aber auch über zwei Unicorns – Avaloq und Mind Maze – freuen. Erst kürzlich sind zudem die vier Start-ups Ava, Bequom, SOPHia Genetics und GetYourGuide auf der neusten Liste von «Tech Tour Growth 50» erschienen – auf dieser Liste sind Unternehmen aufgeführt, die durch ihr überragendes Wachstum überzeugen. Die Firma Ava ist zudem zum besten Start-up der Schweiz gekürt worden. Die Schweiz hat also zahlreiche erfolgreiche ICT-Unternehmen und viele weitere sind bereits in der Erfolgspipeline.
CW: Weshalb diese Unternehmen, was zeichnet sie aus?
Kraev: Die Schweizer ICT-Unternehmen sind unglaublich engagiert: Sie leben das Unternehmertum, haben eine klare Strategie und nutzen ihre Chancen. Dabei positionieren sie sich in Nischenmärkten und zeigen ganz klar ihren Mehrwert auf. So sind sie natürlich auch für Investoren interessant.