09.03.2006, 15:28 Uhr
Ein Netzwerk für die Teilchenspalter
Die Daten aus dem Large Hadron Collider am Genfer Kernforschungszentrum Cern werden künftig durch Procurve-Switches geleitet. Für ihr Netzwerk stellen die Teilchenforscher jedoch Ansprüche ausserhalb des Standards.
Der Zuliefervertrag mit dem Forschungszentrum Cern ist nur ein Teil einer umfassenden Partnerschaft zwischen der Netzwerkabteilung von Hewlett-Packard, Procurve und den Teilchenspaltern aus Genf. Während Procurve sich den Sonderwünschen der Forscher annimmt, prüft die Systems and Networking Group am Cern, die für die Datenvernetzung zuständig ist, die Produkte auf Herz und Nieren. Deshalb darf Procurve ihren Switches künftig quasi das Label «Cern-geprüft» aufpressen, was der Cisco-Konkurrentin, wie sie selbst meint, einen enormen Imageschub bringen soll. Dies betont auch Procurves Chef fürs globale Marketing Amol Mitra: «Das Cern ist für uns ganz klar ein Prestigeprojekt.» Die Partnerschaft in Genf gehe weit über einen einfachen Grossauftrag hinaus, so Mitra: «Das Cern hat eine Ausstrahlung von internationalem Format und ausserdem enorm hohe und untypische Ansprüche.»
Auch Gabriela Bühlmann, Business-Managerin bei Procurve Schweiz, die für die eidgenössische Niederlassung das Projekt von Anfang an betreut hat, ist sich der grossen Bedeutung des Genfer Auftrags bewusst. Sie sieht die Herausforderung darin, die eigenen Produkte auf die Cern-Anforderungen zuzuschneidern. «Procurve war als Netzwerkdienstleisterin vorher im unteren KMU-Segment angesiedelt», so Bühlmann, «das Cern-Projekt ist die Riesenchance, uns im Bereich für Grossunternehmen zu beweisen».
Für die Netzwerkabteilung von HP öffnete sich die Tür zu den Kernforschungslaboratorien, nachdem die Vorgängerin Enterasys sich aufgrund des eigenen Verkaufs an die Investorengruppe The Gores Group nicht mehr in der Lage gesehen hatte, den Verpflichtungen in Genf nachzukommen, und deshalb um die Auflösung der Verträge gebeten hatte. Bei HP hatte man mit den Genfer Teilchenforschern schon früher im Rahmen des Openlab-Projekts erste Kontakte geknüpft und hatte im Schweizer Team einen Mann mit guten Kontakten, der diese vor zwei Jahren spielen liess. Nach dem Request for Information im November 2004 bestellte sich das Cern von zwei Firmen Demonstrationsgeräte für erste Tests. Und wenn die Cern-Techniker testen, dann tun sie das richtig. «Unser erstes Gerät kam nur noch als dampfender Haufen Elektronik in unsere Entwicklungsabteilung zurück», erinnert sich Bühlmann.
Die Nachbesserungswünsche der Cern-Techniker waren dementsprechend vielfältig. In der US-amerikanischen Entwicklungsabteilung von Procurve in Roseville bei Sacramento wurde nach einem langwierigen Prozess von eineinhalb Jahren schliesslich der Zuschlag erteilt, der unter anderem auch die künftige Testpartnerschaft besiegelte. Dabei verzichtet das Cern vorerst auf Kerngeräte von Procurve und setzt auf zwei Cores von Force 10. «Für das Cern war das die richtige Entscheidung, weil wir im Core damals mit der Entwicklung noch nicht weit genug waren», kommentiert Gabriela Bühlmann. Procurve ihrerseits liefert die Hardware für den Layer 2. «Eine der Herausforderungen in der Arbeit für das Cern ist es, den offenen Protokollen gerecht zu werden», so Bühlmann. Eine zweite Spezialität findet sich im Bereich der Nutzer- und Geräte-Authentifizierung, welche über sechs Radius-Server geregelt wird. Normalerweise wird bei nicht verfügbarem Authentifizierungsserver der Zugriff verweigert und alles komplett abgeschottet. «Cern brauchte hier eine Sonderlösung», so die Managerin. «Wir mussten den Switch so einstellen, dass er in einer solchen Situation genau das Gegenteil tut und jedem den Zugang gewährt.» Zu kostbar seien die Daten, die aus den Experimenten mit dem Large Hadron Collider in die Speichermedien fliessen sollen. «Sollte das Netzwerk ausfallen, würde dies den Abruch des Experiments, den Verlust wertvoller Daten und einen zweimonatigen Forschungsunterbruch bedeuten.» Für die Erfüllung dieser Ansprüche sei in den Procurve-Labors rund sechs Monate entwickelt worden.
Die Testerfahrungen im Cern seien ausserordentlich wertvoll. «Die Techniker in Genf können beispielsweise Datenströme von bis zu 2,7 Terabyte aufbauen, wie es uns in unserer eigenen Entwicklungsabteilung gar nicht möglich wäre.» So nutzten HPs Netzwerker denn auch die Möglichkeit und haben bereits die kürzlich angekündigten frischen Switches in die Testmühle der Teilchenspalter gesteckt. Seit September 2005 testet das Cern beispielsweise an der 5400er-Serie. Zunächst werden im Beta-Programm alle von Procurve verlangten Testszenarien durchgespielt, erst später folgen die von der Netzwerkabteilung beim Cern selbst aufgestellten Probe-Szenarien. «Um interne Vergleiche zu haben, ist es für uns wichtig, dass auch die eigenen Tests durchgeführt werden», so Bühlmann. Für den 5400er-Switch ist die Tortur bereits vorbei. Auch wenn das Gerät auf dem Markt noch nicht zu haben ist, darf das Gerät in den Genfer Laboratorien seit rund vier Monaten bereits seine Dienste verrichten. Laut David Foster, Leiter der Netzwerkabteilung am Cern, ist die Entscheidung nicht nur aufgrund der vorhandenen Technik gefällt worden. «Oft sind wir mit unseren technischen Möglichkeiten und Anforderungen den Industriestandards leicht voraus. Deshalb sind wir auf Partner angewiesen, die flexibel genug sind, unseren Ideen und Anforderungen in ihrer Entwicklungsabteilung auch nachzukommen.» Eine Forschungspartnerschaft könne laut Foster nicht aus dem Boden gestampft werden, sondern müsse sich vielmehr laufend entwickeln. Auch angesichts der Tatsache, dass HP sich bereits seit 2003 am Openlab-Projekt beteiligt, habe man deshalb bei Procurve ein gutes Gefühl.
Aufgrund des Cern-Abkommens seien bereits mehrere grosse Deals gewonnen worden, versichert Bühlmann. Es fordere von der eigenen Entwicklungsabteilung zwar viel Flexibilität, doch für die wertvollen Testergebnisse und Erfahrungsberichte lasse man sich gern darauf ein. Bis Mitte 2006 soll die Umsetzung aller Cern-Spezialanforderungen beendet sein. Die Auslieferung für das LHC-Projekt müssen laut Vertrag bis Mitte 2007 erfolgen. Insgesamt hat Cern 300 Stück des 3400cl-Switch geordert, der unter anderem auch innerhalb des Grid-Projekts zum Einsatz kommen soll. Davon sind zurzeit 50 Stück in Betrieb. In den kommenden Jahren soll diese Zahl auf 700 erhöht werden. Diese Geräte sollen künftig über 6000 PC weltweit vernetzen, welche das Herzstück des LHC-Computing-Grid bilden. Das LHC-Grid soll sicherstellen, dass 2007, wenn der Large Hadron Collider seine Arbeit aufnimmt, tausende Wissenschaftler ihre Daten speichern und analysieren können. Es wird ein Datenberg von 15 Millionen Gigabyte pro Jahr erwartet.
David Witassek