Stärken/Schwächen der ERP-Giganten 02.11.2015, 17:45 Uhr

SAP gegen Oracle, Microsoft, Infor

Was ihnen die Hersteller nicht verraten: Das halten 519 Kunden weltweit von Oracle, SAP, Microsoft und Infor. Panorama Consulting hat nachgefragt. Die Ergebnisse im Detail.
ERP-Systeme sind in Unternehmen unverzichtbar. Ohne sie läuft gar nichts, kaum etwas richtig, zu wenig effizient. Panorama Consulting hat daher die vier Giganten der Branche auf den Prüfstand gestellt: SAP, Oracle, Microsoft und Infor. Von Juni 2014 bis Oktober 2015 haben die Analysten weltweit 519 Unternehmen befragt, die Software dieser Anbieter im praktischen Einsatz haben. Dabei standen Parameter wie Business Benefits, Amortisierung (Payback), der Kundenservice und die Cloud im Vordergrund. Die Ergebnisse des Reports 'Clash of the Titans 2016' sind also nicht graue Theorie, sondern gründen auf konkretem Kunden-Feedback aus der unternehmerischen Praxis.

Die ERP-Portfolios der Anbieter

Oracle ist bekannt für seine Datenbank-Technologie, die immer noch einen Grossteil des Umsatzes generiert. Weniger für seine ERP-Lösungen. In den ERP-Markt stieg das Unternehmen durch die High-Profile-Akquisitionen JD Edwards, PeopleSoft und Siebel CRM ein. Oracle hat über die letzten Jahre etwa hundert Softwarefirmen aufgekauft und die Programme in Java re-programmiert - "jede einzelne Zeile", wie Oracle-Gründer Larry Ellison immer wieder gerne betont. Das hat zehn Jahre gedauert, aber jetzt steht das Portfolio. In Folge kann das Unternehmen modulare, nahezu identische Lösungen on-premise und in der Cloud anbieten, was für hybride Szenarien und eine Schritt-für-Schritt-Migration in die Cloud ein grosser Vorteil ist. Die meisten Oracle-Anwendungen lassen sich über einen Standard-Web-Browser aufrufen und bedienen. Zum ERP-Angebot gehören etwa die E-Business Suite On-Demand, PeopleSoft Enterprise On-Demand und JD Edwards EnterpriseOne On-Demand. Das Cloud-Geschäft wächst stark, bewegt sich aber mit einem Anteil von sieben Prozent am Gesamtumsatz noch auf relativ tiefem Niveau. 1300 Kunden beziehen Oracle-ERP aus der Cloud. Zu den Stärken von Oracle zählt Panorama Software:
  • starke Finance- und Buchhaltungs-Funktionalitäten
  • Auch komplexe Pricing-Szenarien möglich
  • E-Portale ermöglichen leichte Interaktion mit Kunden und Zulieferern
  • Sehr gut aufgebaute IT-Architektur
  • Gute Funktionalität für Operations in der Produktion
Den ERP-Weltmarktführer SAP hatten die erfolgsverwöhnten Amerikaner lange Zeit überhaupt nicht auf dem Radar. Bis sie dann mit Erstaunen bemerkten, dass sich in die Phalanx der US-amerikanischen Software-Weltmarktführer ein deutsches Unternehmen eingeschlichen hatte.  SAPs Business Suite besteht aus integrierten Business-Anwendungen mit industriespezifischen Funktionalitäten und einer hohen Skalierbarkeit. Die Lösungen seien eng mit den Geschäftsprozessen im Unternehmen verzahnt und sehr leistungsstark. Change Prozesse, so merkt Panorama Consulting kritisch an, seien dadurch aber auch tendenziell schwieriger zu realisieren.  Zu den Kernprodukten gehören SAP Business All-in-One mit mehr als 700 industriespezifischen Templates. Die Lösung, eine Variante der Business Suite, zielt auf kleine bis mittlere Unternehmen mit bis zu 2500 Mitarbeitern. Die kleinere SAP Business One wendet sich an kleinere Firmen mit bis zu 100 Angestellten, zum Grossteil aus den Branchen Handel, Dienstleistungen und der Produktion. Seine Cloud-Suite ByDesign bietet SAP in den USA, Deutschland, Frankreich, Indien und China an. Zu den Stärken von SAP zählen die Analysten:
  • Starke Funktionalität im Bereich Produkt-Entwicklung
  • Gute Unterstützung von Make-to-Order
  • Integrierte Retail-Module
  • Gute Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung
  • Gute Compliance mit SOX und länderspezifischer Reglements
  • Starke Cash-Management-Funktionalität
Nächste Seite: Stärken von Microsoft, Infor, Marktanteile der vier Grossen Microsoft ist weltbekannt für seine Betriebssysteme und sein Office-Paket. In den ERP-Markt stieg das grösste Softwarehaus der Welt durch die Akquisitionen von Great Plain (Rechnungswesen) und der dänischen Navision (plus Damgaart Software) ein. Microsofts Business-Software ist in der Schweiz beliebt und wird - im Ländervergleich - überproportional häufig eingesetzt. Aktuell besteht das Business-Software-Trio aus Dynamics CRM (weltweit 40'000 Kunden), Dynamics Navision (100'000 Kunden) und das für grössere Unternehmen gedachte Dynamics AX/ERP (weltweit 20'000 Kunden). Redmond bietet seine drei Lösungen on-premise und in der Cloud an. Zu den Stärken des Anbieters zählen unter anderem:
  • Leichte, flexible Anpassbarkeit an Kundenbedürfnisse
  • Leicht zu integrieren
  • Anwendern ist die Bedienoberfläche vertraut
  • Gute Unterstützung für Unternehmen mit mehreren Niederlassungen (multi-organization)
  • Stark in Produktion und Handel/Gewerbe
Infor heisst der Newcomer im Report 'Clash of the Titans'. Das skandinavische Unternehmen mit Niederlassung in der Schweiz hat in den letzten Jahren an Marktpräsenz gewonnen. Infor automatisiere geschäftskritische Prozesse in den Industrien Gesundheit, Gewerbe, Mode, Handel/Grosshandel und der öffentlichen Verwaltung, merkt Panorama Consulting an. Infor geht besonders tief auf die Anforderungen einzelner Industrien und Märkte ein. Davon profitieren die Kunden. Zusammen mit seinem Partner AWS bietet die Firma seine Industrie-Lösungen auch in der Cloud an. Das kürzlich gegründete Dynamic Science Lab forscht an Technologien zur Künstlichen Intelligenz und 'Machine Learning'. Nächste Seite: Implementation - Infor schnell, Microsoft langsam

Die Kundenbewertungen im Detail

Der Entscheid für ein ERP ist langfristiger Natur. Ein typischer Zeithorizont erstreckt sich über zehn bis 15 Jahre. Umso sorgfältiger will das Votum für oder gegen einen bestimmten Anbieter überlegt sein, und kaufwillige Firmen gehen dabei schrittweise vor. Am Ende des Selektionsprozesses steht eine 'Short List' mit einer Handvoll Anbietern, die in Frage kommen. Mit grossen Abstand (45 Prozent)  steht die bekannte SAP auf den 'Short Lists' der Unternehmen, wird also überproportional häufig als geeigneter Kaufkandidat in Erwägung gezogen. Oracle folgt mit 31 Prozent auf Platz zwei. Beim aktuellen Kaufentscheid schrumpft dann der Riesenabstand der SAP doch erheblich. Zwar wählen immer noch die meisten Unternehmen die Lösungen aus Walldorf (21 Prozent), auf Platz zwei folgt jedoch Infor mit 19 Prozent. Oracle rutscht auf den dritten Platz ab und kann 14 Prozent der Kunden für sich gewinnen.

Implementationsdauer

Die Zeit, die aufgewendet werden muss, um ein ERP-System zu implementieren hängt direkt vom Projekt, den eingesetzten Ressourcen und der funktionalen Komplexität der Software ab. Aber auch vom Anbieter. Insgesamt hat sich im Vergleich zum letzten Report 'Clash of the Titans 2014' der Zeitaufwand erhöht. Die Implemantationen dauern im Durchschnitt länger als noch vor einem Jahr. Sehr interessant ist auch der Vergleich zwischen der geplanten und der tatsächlich benötigten Implementationsdauer. Infor-Systeme lassen sich, so das Kunden-Feedback, am schnellsten aufsetzen und in den produktiven Einsatz bringen (16,2 Monate). Dann folgt SAP, Microsoft Dynamics benötigt mit gut zwei Jahren am längsten (24,9 Monate). Alle vier ERP-Riesen überziehen den geplanten Zeitrahmen. Die Implementation dauert also länger, als erwartet. Die Schuld an diesem Missstand liegt jedoch nicht nur an den Lösungen der Anbieter, sondern auch an ungenauer Planung und unrealistischen Erwartungen aufseiten der Kunden. Oft wurde der Projektumfang im Nachhinein erweitert. Auch wird die technische und organisatorische Komplexität eines ERP-Projektes anscheinend von den Kunden gerne unterschätzt. Nächste Seite: Wann amortisiert sich Ihr ERP?

Amortisierung der Investitionen (Payback)

Payback ist der Zeitpunkt, an dem sich die Anfangsinvestition des Kunden in sein ERP amortisiert hat. Typischerweise beträgt der 'Payback' drei Jahre. Mitarbeiter müssen das neue, in der Regel komplexe ERP erst erlernen, um alle Funktionen nutzen und den grösstmöglichen Vorteil für ihr Unternehmen erzielen zu können. 20 Prozent der Oracle-Anwender haben diese Herausforderung bereits nach einem Jahr erfolgreich gemeistert. 25 Prozent der SAP-Anwender brauchen dafür ein bis zwei Jahre. Microsoft Dynamics ist, das überrascht uns, am schwierigsten zu erlernen. 43 Prozent benötigen drei Jahre oder länger, um die Lernkurve zu meistern.

Geschäftlicher Mehrwert (Benefits)

Kunden verbinden mit einem ERP gleich ein ganzes Bündel von Vorteilen. Zuoberst verspricht man sich eine bessere Verfügbarkeit der Informationen im Unternehmen (36 Prozent) und damit verbunden eine verbesserte Zusammenarbeit der einzelnen Geschäftseinheiten (27 Prozent). 14 Prozent erwarten ausserdem, dass die operativen und/oder die Personalkosten sinken. 12 Prozent versprechen sich von ERPs eine intensivere, bessere Betreuung ihrer Kunden. Wunsch und Wirklichkeit scheinen jedoch weit auseinander zu klaffen. Nur 21 Prozent der SAP- und 21 Prozent der Dynamics-Kudnen gaben an, mindestens 50 Prozent der anvisierten Geschäftsvorteile auch tatsächlich realisiert zu haben. Und das sind schon die erreichten Spitzenwerte. 14 Prozent der Oracle-Kunden erzielten Benefits von 50 Prozent und mehr. Beim Schlusslicht Infor können das sogar nur 11 Prozent der Kunden von sich behaupten.
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Die Cloud, wer nutzt sie?

Komplexe ERP-Software in die Cloud zu migrieren und als Software-as-a-Service anzubieten, ist eine aufwändige Geschichte. SAP kann mit seinem Business ByDesign ein Lied davon singen. Zudem bringen Sicherheitsbedenken die Kundenins Zweifeln. Aber die Cloud-Nutzung nimmt langsam zu. Gerne werden zum Beispiel Module aus der Cloud hinzu gemietet, um die On-Premise-Programme zu ergänzen oder um Filialen schneller anbinden zu können. 2013 gaben 13 Prozent der SAP-Kunden an, ERP-Module aus der Cloud einzusetzen. 2015 ist dieser Anteil auf 29 Prozent angestiegen.
Cloud-ERP kommt. Es locken die bekannten, mit dem Cloud-Beschaffungsmodell verbundenen Vorteile: kürzere Innovationszyklen, leichte Skalierbarkeit, Bezahlung nach Nutzung, kurze Implementierbarkeit. Bei rund einem Fünftel der Cloud-Kunden sind zudem die Kosten um mehr als 40 Prozent zurückgegangen.
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Wie aufwändig ist die Anpassung?

Komplexe ERP-Systeme sind in den allerseltensten Fällen Out-of-the Box-Anwendungen. Meist fallen mehr oder minder zeitaufwändige Anpassungsarbeiten an (Customization). Bei Oracle scheinen in mehr als der Hälfte aller Fälle Anpassungen zumindest zu einem gewissen Grad (some) fällig zu werden. Ganz aus der Reihe aber schlägt Microsoft Dynamics: 22 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, ohne "extreme" Arbeiten (extreme level of customization) das System gar nicht optimal nutzen zu können. Auch hier liegt die Schuld nicht alleinig beim Anbieter. Kunden sind in der Pflicht, ihre Herausforderungen und Wünsche vor dem Kauf ihres ERP genau zu identifizieren. Wer das nicht tut, riskiert einen Fehlkauf, der grössere Zeit-, Personal- und Kostenaufwendungen nach sich zieht.
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Ergebnisse: SAP gegen Oracle, Microsoft, Infor 

Komplett-Studie: Clash of the Titans 2016




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