27.01.2016, 13:50 Uhr
WEF 2016 im Zeichen der Digitalisierung
Die Industrie 4.0 war das Thema des Weltwirtschaftsforums. Leider hat es die wirtschaftliche, politische und intellektuelle Elite verpasst, das Schlagwort fassbar zu machen. Die Plattitüde müssen aufhören.
Zwei deutsche Männer haben Davos weltberühmt gemacht: Thomas Mann und Klaus Schwaab. Ihre Vorstellungen vom Bündner Bergdorf könnten dabei unterschiedlicher nicht sein: Während Mann in seinem Roman «Zauberberg» das Waldhotel Davos als Symbol nutzte, um Kapitalismuskritik zu üben, lädt Schwaab seit bald 50 Jahren die globale intellektuelle, kulturelle, politische und wirtschaftliche Elite in dieselben – mittlerweile mehrfach umgebauten Gemächer - ans Weltwirtschaftsforum ein. Während sich die Reichen und Schönen in Manns Buch zum Ausruhen und Genesen ihrer Krankheiten trafen, ist Ausruhen das letzte, was Schwaab für seine Gäste im Sinn hat. Sie sollen stattdessen die Krankheiten der Welt bekämpfen.
In diesem Jahr wollte sich das WEF um die «vierte industrielle Revolution und ihre Folgen» kümmern. In einem sehr lesenswerten Essay bezeichnete Schwaab das Schlagwort als «Bewegung, die Produktionssysteme, Management, Governance verändert, in praktisch jeder Industrie in jedem Land». Sie besässe die Möglichkeit, den globalen Wohlstand und die Lebensqualität zu erhöhen. Gleichzeitig bestünde aber die Gefahr, dass die vierte digitale Revolution für noch mehr Ungleichheit sorgen wird. Klar, dass bei diesem Thema die IT-Branche mitreden muss, schliesslich ist die Digitalisierung seit einigen Jahren ihr Schreckgespenst oder Heilsbringer – je nachdem ob die Aktionäre von Nokia oder Google gefragt werden. Entsprechend waren die Teilnehmer dieses Jahr besonders technikaffin und kaschierten so, dass diverse Regierungschefs Davos fernblieben. Statt Angela Merkel kam Sheryl Sandberg, statt Narendra Modi Satya Nadella.
Plattitüde, mehr nicht
Wohl sämtliche der rund 2500 Teilnehmer waren sich einig, dass die vierte industrielle Revolution Gesellschaft, Politik, Kultur und Wirtschaft in ihren Grundfesten erschüttern wird. Und dass man heute handeln muss, weil sie sehr schnell kommt. Wirklich konkret wurde es aber selten. «Unternehmen müssen ihre IT-Abteilungen fit für die Zukunft machen, dann können sie bestehen» (Meg Whitman, HP CEO); «Menschen müssen mittels Aus- und Weiterbildung kreativer und innovativer werden» (Vishal Sikka, Infosys CEO) sind Beispiele aus der Plattitüdenkiste, die in Davos Gattungsware waren. Besonders misslungen war der Auftritt von Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg, die es bei einer Diskussion über soziale Netzwerke und ihre Rolle bei der Verbindung von Menschen schaffte, ihr Unternehmen in jedem zweiten Satz zu nennen. Etwa: Es sei es ein Leichtes, jemanden zu hassen, wenn man ihn nicht kenne. Wäre man aber etwa mit syrischen Flüchtlingen via Facebook verbunden, hätte man einen ganz anderen Blickwinkel. Es ist eher andersherum: Nur wer schon einen anderen Blickwinkel hat, wird sich auf Facebook mit syrischen Flüchtlingen befreunden. Wo ist da der oft beschworene Geist von Davos geblieben, muss gefragt werden. Schon oft war das WEF nämlich Ausgangspunkt grosser Veränderungen. Türkei und Griechenland unterzeichneten 1988 die «Davos Declaration», die eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern wegen des Zypern-Konflikts verhinderte. 1989 hielten Nord- und Südkorea ihr erstes Treffen auf Ministerebene ab. Ein Jahr später trafen sich der westdeutsche Kanzler Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow, um über die deutsche Widervereinigung zu sprechen. Auch der Klimagipfel von Rio, bei dem erstmals Treibhausgasbeschränkungen beschlossen wurde, kam damals in Davos zustande. Und als sich 1994 der israelische Aussenminister Shimon Peres und PLO-Chef Yassir Arafat per Handschlag auf einen Vertragsentwurf über Gaza und Jericho einigten, sorgte das Bild für Jubelstürme auf der ganzen Welt.
Vom diesjährigen Weltwirtschaftsforum bleiben keine solchen Bilder in Erinnerung. Dabei war das WEF 2016 nicht schlechter als vorangegangene Ausgaben und es gäbe einiges zu berichten. John Kerry und Sergej Lawrow, die Aussenminister der USA und Russland trafen sich, die Flüchtlingsthematik wurde intensiv diskutiert, und dem deutschen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble entfuhr in einer Debatte mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras der Satz « „It›s the implementation, stupid!», der eine kleine diplomatische Krise auslöste. Doch die industrielle Revolution, das eigentliche Thema der Veranstaltung, stand nur oberflächlich im Vordergrund, was nichts so gut veranschaulicht wie die Statistik zur meistüberbuchten Veranstaltung: Das war dieses Jahr nicht die Podiumsdiskussion von HP-Chefin Meg Whitman mit Boston-Consulting-Chef Rich Lesser, auch nicht die Gedanken von US-Vize Joe Biden zum Essay von Klaus Schwaab und schon gar nicht das Panel «The future of the digital Economy» an dem unter anderem Sheryl Sandberg, Microsoft-CEO Satya Nadella und Google-Vorstandsvositzender Eric Schmidt teilnahmen. Sondern der Schauspieler Kevin Spacey, der am Freitag in Davos über «House of cards» und Parallelen zur Realität plauderte. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Jobs weg - was tun?
Jobs weg - was tun?
Dafür, dass ihre Veranstaltungen nicht besser besucht waren, kann die IT-Elite eigentlich nichts. Aber vermutlich wussten die Gäste, dass sie ihre Zeit sinnvoller investieren können. Niemand lässt sich in die Karten blicken, wenn die ganze Welt zusieht. Trotzdem hätte es diverse Bereiche der Industrie 4.0 gegeben, die praktisch hätten diskutiert werden können. Ein paar grundsätzliche Fragen als Vorschläge:
- Wie können Regierungen neue Technologien nutzen um die Bevölkerung aktiver in demokratische Prozesse einzubinden?
- Für wen soll das Roboterauto halten?
- Wie können Gesetze schneller auf Technologiesprünge angepasst werden?
- Sollen Maschinen intelligenter werden als Menschen werden? Muss die Nato bei einem Cyberangriff auf ein Mitgliedsland einschreiten?
- Ist proprietäre Technologie noch zeitgemäss?
- Wem gehören welche Daten?
Das einzige hitzig debattierte Digitalisierungsthema war allerdings die Automatisierung der Wirtschaft. Die vierte Revolution kostet in den nächsten Jahren Millionen Jobs, sagen diverse Studien. Darauf angesprochen meinten die diversen Chefs der IT-Konzerne fast einheitlich, dass man die Problematik kenne und empfehle, in Zukunft mehr auf die Weiterbildung der Menschen zu setzen. MINT-Berufe hätten Potenzial, während Fliessband- und Dienstleistungsberufe je länger je mehr verschwinden würden. Doch auch wenn dies für die Betroffenen mühsam sei, hätte die digitale Revolution wesentlich mehr Vor- als Nachteile. Schliesslich würden dadurch auch Jobs geschaffen.
Das stimmt aber nur teilweise, besonders Techfirmen werden nur noch selten grosse Arbeitgeber werden. Sie brauchen hauptsächlich Akademiker und lagern die Produktion aus - das Gegenteil von Industriefirmen. So kommt Apple auf 60 000 Mitarbeiter, die Ölfirma Gazprom hat vergleichbarem Umsatz 400 000 Angestellte. In Davos wäre die Gelegenheit ideal gewesen, diese Diskrepanz und ihre Folgen zu diskutieren. Sie wurde verpasst.