25.10.2017, 18:43 Uhr

Technologie wandelt Schweizer Versicherer

Die Schweizer Versicherungskonzerne arbeiten an der Digitalisierung ihres Geschäfts. Teils helfen dabei Start-ups. An der Konferenz «InsurTech» zeigte sich der Wandel der Branche.
Vor einem Jahr war die Konferenz «InsurTech» eine Plattform für Prototypen. In diesem Jahr wurden wiederum Prototypen gezeigt. Allerdings demonstrierten die Anwendungen, dass sich sowohl die Traditionskonzerne als auch die Jungunternehmer in der Schweiz ernsthaft mit der Digitalisierung des Versicherungsgeschäfts befassen. Die Versicherung Axa entwickelt gemeinsam unter anderem mit der Informatikfirma AdNovum ein «Car Dossier». Dabei handelt es sich nicht nur um ein Versicherungsprodukt, sondern eine Plattform, auf der Informationen über den ganzen Lebenszyklus eines Autos gesammelt werden. AdNovum-CTO Tom Sprenger sagte an der Konferenz, dass sich aufgrund der vielen Beteiligten ein zentrales Register anbietet. Informationen von Hersteller, Händler, Versicherung, Regulator, Garagen, allenfalls Car-Sharing-Anbieter, Autoverwerter und natürlich Fahrer sollen in das Dossier eingetragen werden. AdNovum setzt die Plattform mit der Blockchain-Technologie um, genauer mit der Hyperledger Fabric. Wie Sprenger sagte, sei die Implementierung für Enterprise-Anwendungen am besten geeignet. Alle Geschäftslogiken sollen mit Smart Contracts weitgehend automatisiert umgesetzt werden.
Der Clou am «Car Dossier»: Wenn sämtliche Vorgänge an einem Auto unveränderlich auf der Blockchain festgeschrieben werden, kann es keine Zweifel mehr am Zustand mehr geben. Das würde Reparaturen erleichtern und den Occasionen-Handel immens vereinfachen. Von den rund 4,5 Millionen in der Schweiz registrierten Autos wechseln pro Jahr circa 900'000 den Besitzer. Für die Versicherung hat «Car Dossier» ebenfalls grosses Potenzial. Waren bis anhin dutzende Verträge mit allen Beteiligten in der Autobranche notwendig, müsste zukünftig nur noch eine Police ausgestellt werden, sagte Lorenz Hänggi, Head of ICT Innovation Engineering bei Axa. Das Projekt könnte das gesamte Autoversicherungsgeschäft nachhaltig verändern, wenn nicht gar die ganze Automobilbranche. Das haben die heutigen Partner Amag, Mobility, Strassenverkehrsamt Aargau, Hochschule Luzern sowie Universität Zürich bereits erkannt. Zusätzliche Unternehmen sollen aufgenommen werden, wenn im Sommer 2019 ein «Minimum Viable Product» (MVP) fertig entwickelt ist, sagte Sprenger.

Police ohne Versicherung

Eine universelle Plattform für Versicherungen hat das Start-up Etherisc entwickelt. Auf der Basis der Ethereum-Blockchain können beliebige Anwendungen umgesetzt werden. Dank Smart Contracts sind Risikoberechnung, Prämienzahlung und Schadensabwicklung sowohl automatisiert als auch transparent. An der Konferenz lancierte Etherisc-Mitgründer Stephan Karpischek den ersten Prototypen: eine Versicherung gegen Flugversptung. Bei der Police ist keine Versicherung involviert, sagte er. Alle Prozesse seien in Software umgesetzt, ein selbst entwickeltes «Orakel» und FlightStats dient etwa zur Prämienberechnung.
Karpischek erklärte ausserdem, dass sein in Icking nahe München gegründetes Unternehmen in Kürze nach Zug zügeln wird. Das dortige Crypto Valley und die Schweiz böten ein hervorragendes Umfeld für Etherisc. «Die Finanzmarktaufsicht Finma ist sehr gut informiert über Blockchain-Technologie und sehr hilfsbereit», sagte er. Nächste Seite: virtueller Versicherungsagent Bis anhin bestand der Versicherungsverkauf hauptsächlich aus einem Gespräch zwischen dem potenziellen Kunden und dem Agenten. Anschliessend füllte der Agent Formulare aus, um dem Kunden eine Offerte zu unterbreiten. Spixii-Mitgründer Renaud Million führte an der «InsurTech» vor, wie ein Chat-Bot den Agenten bei den Vertragsverhandlungen unterstützen oder den Kunden bei der Schadensmeldung behilflich sein kann. Der Spixii-Bot macht den beiden Anwendergruppen die Interaktion maximal einfach: Die Fragen stellt er im Klartext, für die Antwort werden mehrere Optionen vorgegeben, so dass der User lediglich einen Knopf drücken muss. Eine Texteingabe ist nicht erforderlich. Verglichen mit anderen Kundenkanälen sind Chat-Bots wirtschaftlicher, sagte Million. Ein Online-Formular sei zwar kostengünstig, habe allerdings auch eine geringe Erfolgsquote. Die Call Center seien bei hoher Erfolgsquote hingegen sehr kostenintensiv. Dagegen lassen sich Chat-Bots kostengünstig realisieren, besässen aber nur eine leicht tiefere Erfolgsquote als Call Center.

Auto schlägt Police vor

Auf der Basis von heute schon vorhandener Technologie entwickelt das Zolliker Start-up Spearhead zusammen mit Accenture eine Lösung für Autoversicherungen. Die Telematik-Systeme von modernen Autos zeichnen tausende Messwerte des Fahrverhaltens auf. Diese Daten lassen sich für die Flexibilisierung der Versicherungsprämie nutzen. Und auch für eine automatische Schadensmeldung, sagte Spearhead-Mitgründer Cees van Dijk an der Konferenz. Das Auto könnte den Schaden selbständig analysieren, unter Berücksichtigung des persönlichen Terminkalenders und der Bewertung des Garagisten eine Reparatur vereinbaren und den Lenker zum richtigen Zeitpunkt erinnern.
Einen zweiten Anwendungsfall skizzierte Werner Rapberger, Principal Director von Accenture: Ein Neuwagen wird mit einer zunächst kostenlosen Versicherung ausgeliefert, die in den ersten zwei Monaten das Fahrverhalten analysiert und anschliessend die adäquate Prämie vorschlägt. Anhand von Parametern wie Geschwindigkeitsüberschreitungen, gefahrene Kilometer, typische Route oder Anzahl der Vollbremsungen könnte der Preis ermittelt werden. Ein regelkonformes Fahrverhalten würde durch eine Prämienreduktion belohnt, sagte Rapberger. Der Konferenz-Mitveranstalter Rino Borini gab sich im Gespräch mit Computerworld erfreut über die Entwicklungen im Schweizer InsureTech-Markt. Die circa 160 Teilnehmer hätten die Kapazität des Veranstaltungsortes ? das Zürcher Kosmos-Kino ? voll ausgeschöpft. Im Vergleich mit dem Vorjahresanlass seien die Gäste ausserdem viel entspannter gewesen. Diesmal wurden kaum noch Krawattenträger im Publikum gesichtet. Im letzten Jahr trug noch fast jeder Dritte einen Binder.



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