16.09.2016, 15:55 Uhr

«Digitalisierung muss menschliches Bedürfnis befriedigen»

Das «Digital Festival» brachte diese Woche Vordenker von AOL, Schindler und Spotify nach Zürich. Sie skizzierten Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung.
Die Digitaltechnologie kennt zwei Zustände: Null und eins respektive aus und an. Die digitale Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft funktioniert leider nicht so binär. Welche Chancen sowie Herausforderungen sich für Unternehmen, Manager, Angestellte und auch Privatpersonen durch die Digitalisierung ergeben, erklärten Redner am «Digital Festival» diese Woche in Zürich. Zur Eröffnung sprachen AOLs Digital Prophet David Shing, Christian Studer von Schindler und Spotifys Craig Watson.
Den über 500 Teilnehmern führte Shing vor Augen, welche Möglichkeiten die Digitalisierung sowohl im Privatleben als auch im Geschäft bietet. Ein Beispiel war der Walkman, den einst nahezu jeder besass. Der Erfinder Sony hat es aber verpasst, die starke Marke im Musikbusiness in die digitale Welt zu retten. Weder ein MP3-Player noch eine Software erinnern heute noch an den Walkman. Das Start-up ModiFace macht es besser: Via einer Smartphone-App und Augmented Reality können Kunden ein Make-up virtuell auftragen und im Kamerabild das Schminkergebnis sehen, bevor sie das Produkt kaufen. Wie der Digital Prophet an dem Anlass sagte, entscheidet über den Erfolg einer digitalen Lösung, ob das Produkt ein menschliches Bedürfnis erfüllt. Das Handy-Spiel «Pokémon Go» ist erfolgreich unter anderem wegen der cleveren Kombination von Individualbedürfnissen wie Ansehen und Wertschätzung. Hinzu kommen Features, die den Entdeckungswillen, Neugierde und Spass befriedigen. Die Dating-App Tinder setzt (gemäss der Maslowschen Bedürfnishierarchie) tiefer an, indem sie das Bedürfnis nach sozialen Beziehungen anspricht.  Nächste Seite: Digitalisierung der Masse Shang lud die Teilnehmer am «Digital Festival» dazu ein, selbst Ideen zu sammeln. Jede Organisation sollte eine Plattform etablieren, auf der alle Angestellten ihre Vorschläge für die Digitalisierung lancieren und diskutieren können. Laut Christian Studer funktioniert die digitale Transformation beim Lifthersteller Schindler nur deshalb, weil die gesamte Organisation die Projekte unterstützt. Wie der Head New Technologies sagte, sei der Schweizer Traditionskonzern natürlich weiterhin hauptsächlich ein Produzent von Aufzügen, Fahrtreppen und Rollbändern. «Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie die Kunden mit den Produkten interagieren», fügte er an. Dafür hätte Schindler Digitalisierungsprojekte in allen Geschäftsbereichen umgesetzt.
Schindlers «Internet of Elevators & Escalators» bestehe unterdessen aus Sensoren in den Anlagen selbst, Minicomputern in den Steuerungsmodulen und einem Web-Portal für die Aufzugbesitzer. Die Kunden könnten den Betriebszustand ihrer Lifte auch mithilfe einer Smartphone-App überwachen. Wenn eine Wartung ansteht oder ein Defekt auftritt, würden die Anlagen selbständig die Schindler-Techniker benachrichtigen. Dann planen die Service-Mitarbeiter mit der App «FieldLink» ihre Einsätze und informieren sich über die Installationen beim Kunden. Nach getaner Arbeit dient «FieldLink» ausserdem dazu, das Reporting zu verfassen und gleich an die Zentrale zu übermitteln, sagte Studer. Schindlers grösste Kundengruppe sind jedoch die Passagiere der Aufzüge und Rolltreppen. Wie der Manager sagte, befördern Schindler-Produkte eine Milliarde Passagiere pro Tag. Für Grossinstallationen beispielsweise im Pingan International Finance Center im chinesischen Shenzhen bietet das Unternehmen heute ein Traffic Management an. Die Angestellten in dem Hochhaus können per Smartphone-App die Personensperren öffnen, Aufzüge herbeirufen und Besuchern einen elektronischen Butler aufs Handy schicken. Dem Gast öffnet das Smartphone dann die Türen, holt ihm den Fahrstuhl und transportiert ihn in die richtige Etage. Nächste Seite: wie Spotify Innovation treibt Den Anwendungsbeispielen für Digitaltechnologie beim Grosskonzern Schindler hatte Craig Watson einige methodische Hinweise hinzuzufügen. Watson ist als Product Manager beim Musikdienst Spotify in der glücklichen Lage, kaum Legacy zu besitzen. Trotzdem wusste er, dass es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Unternehmen wie Schindler und Start-ups wie Spotify gibt. «Start-ups scheitern, weil sie sich wie Konzerne verhalten. Anders herum scheitern aber auch Konzerne, wenn sie sich wie Start-ups verhalten», sagte er. Die Jungunternehmen würden zu schnell Prozesse und Strukturen etablieren, die letztendlich dem Erfolg im Wege stehen. Wenn anders herum ein Konzern versucht, als Start-up zu agieren, verhindern oftmals genau die etablierten Prozesse und Strukturen den Erfolg.
Watson riet den Schweizer Teilnehmern am «Digital Festival» ab davon, nun den Kopf in den Sand zu stecken. Sowohl Start-ups als auch Grosskonzerne könnten Digitalisierungsprojekte erfolgreich umsetzen. Er habe bei Spotify (und dem Anfang Jahr übernommenen Soundwave) mit folgenden Schritten gute Erfahrung gemacht: Erstens einer intensiven Recherche im Feld (auch Interviews), zweitens einem rasch folgenden Beta-Test mit einem einfachen Produkt und drittens der Wahl eines zunächst kleinen Testmarkts, der anschliessend eine Skalierung erlaube. Während des gesamten Prozesses ist es nach den Worten Watsons unabdingbar, immer wieder Rückmeldung der Kunden einzuholen. Bei der Wahl des zu entwickelnden Produkts schloss er sich dem AOL-Vordenker Shing an: Besser ein einfaches Kundenbedürfnis befriedigen anstatt die Benutzer mit Funktionsvielfalt zu überfordern.



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