Sensation in Genf
04.07.2012, 14:24 Uhr
Gottesteilchen gefunden
Wissenschaftler am Cern haben möglicherweise eine bahnbrechende Entdeckung gemacht: Ein neues Elementarteilchen wurde gefunden. Dabei könnte es sich um das Higgs-Boson handeln, das auch den Namen Gottesteilchen trägt. Es ist das letzte wichtige Puzzlestück des Standardmodells vom Universum.
Ältere Herren und jüngere Frauen, grau melierte Damen und Männer in den besten Jahren: Sie alle jubeln, umarmen sich, reissen die Hände in die Luft. Manche haben Mühe, Tränen zurückzuhalten. Und das nur, weil gerade jemand folgende Worte in ein Mikrophon gesprochen hatte: «Die CMS-Ergebnisse zeigten eine statistische Sicherheit von 5 Sigma». Schauplatz der Euphorie: Ein Vorlesungssaal im CERN-Institut von Genf. Der Anlass: Die mögliche Entdeckung des Higgs-Boson. Der britische Wissenschaftler Peter Higgs, der ebenfalls in Genf weilte, hat seine Existenz vor fast fünfzig Jahren vorhergesagt, seither fahnden Physiker auf der ganzen Welt nach diesem Elementarteilchen. Denn es ist der zentrale fehlende Baustein im Standardmodell der Physik, welche die bekannten Elementarteilchen und die Wechselwirkungen zwischen ihnen beschreibt und nahezu alle bisher beobachteten teilchenphysikalischen Beobachtungen erklären kann. In diesem Modell nimmt das Higgs-Boson eine zentrale Rolle ein, denn es sorgt dafür, dass andere Teilchen eine Masse haben. («Der Spiegel» hat in einem lesenswerten Artikel die Eigenschaften des Higgs-Boson erklärt.) Lesen Sie auf der nächsten Seite: Bei 125 GeV gefunden
Bei 125 GeV gefunden
Und nun also will man am CERN die Existenz dieses Elementarteilchens nachgewiesen haben, Sigma 5 gilt als «hohe Wahrscheinlichkeit» und damit als Entdeckung. In einem Paper mit dem Titel Combined search for the Standard Model Higgs boson in pp collisions at $\sqrt{s}$ = 7 TeV with the ATLAS detector steht, dass man das Teilchen genau dort gefunden habe, wo es erwartet wurde – bei 125 Gigaelektronenvolt. Damit läge eine hohe Wahrscheinlichkeit (Sigma=5) vor, dass das "Higgs-Boson" tatsächlich existiert. An der Pressekonferenz erklärten die Forscher, dass die Chancen bei eins zu einer Million stehen, dass es sich nicht um das Higgs-Boson handelt. «Als Laie würde ich sagen, wir haben das Higgs, als Wissenschaftler brauche ich den letzten Beweis», antwortete Rolf-Dieter Heuer, Generaldirektor des VERN auf eine entsprechende Reporterfrage. Es seien darum weitere Daten nötig, um 100 Prozent sicher zu sein. Möglich gemacht hat die Entdeckung der Teilchenbeschleuniger LHC, mit dem seit Monaten Elementarteilchen aufeinander geschossen wurden, um Higgs zu finden. Denn die Auswertung der Zerfallsprodukte gibt Aufschluss über das Innerste der Materie.
Erst der Frust, dann die Lust
Bis es soweit war, mussten die Wissenschaftler aber viel Frust ertragen, immer wieder gab es Probleme am rund 27 Kilometer langen Ring des grössten Teilchenbeschleunigers der Welt, Kritik an CERN wurde darum auch des Öfteren laut. Entsprechend die Reaktionen der Beteiligten: «Es ist schwer, nicht aufgeregt zu sein angesichts dieser Resultate», schwärmt Cern-Forschungsdirektor Sergio Bertolucci. Noch euphorischer klingt Joachim Mnich, Forschungsdirektor des Deutschen Elektronen-Synchrotrons Desy: «Was sich hier anbahnt, ist für mich bisher die Entdeckung des Jahrhunderts». Um Higgs endgültig zu beweisen, wollen die Forscher nu auch die verbliebenen Zerfallsprodukte nachweisen. Niemand wollte Stellung nehmen, wie lange dies genau dauern würde. Es dürfte sich aber eher um Jahre als Monate handeln.