04.10.2013, 13:13 Uhr

«Der SNF lebt noch im 20. Jahrhundert»

Prof. Dr. Willy Zwaenepoel ist ein weltbekannter Wissenschaftler. Der letztjährige Preisträger des «Swiss ICT Award» in der Kategorie «People Award Champion» im Interview mit Computerworld.
Willy Zwaenepoel ist es gelungen, die ETH-Lausanne zu einer der Top-Informatiker-Schmieden der Welt zu machen
Bis 2011 war Willy Zwaenepoel Professor und Dekan der «School of Computer and Communication Sciences» an der EPFL Lausanne. Seit 2011 leitet er dort das Operating Systems Laboratory am «Institute of Core Computing Science» (IIF). Der international bekannte und vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler spricht über die Schweizer ICT-Branche, Nachwuchsprobleme und warum Start-ups es hierzulande so schwer haben. Computerworld: Sie haben 23 Jahre in den USA als Wissenschaftler zugebracht. Hat diese Erfahrung dazu beigetragen, die EPFL zu einer der besten Hochschulen der Welt zu machen? Prof. Willy Zwaenepoel: Die Jahre in den USA haben mir die Augen geöffnet. Zunächst wollte ich ja nur meinen Master an der Stanford University machen, blieb dann aber für den Doktor und folgte auch dem Ruf als Professor. Immer wieder wurde mir angeboten, auch in Europa tätig zu werden. Ich wollte aber nur noch unter einer Bedingung zurück: Wenn ich – wie in den USA üblich – um junge Professoren werben und damit die Attraktivität für externe Studierende steigern darf. Ich wollte also die oft an europäischen Hochschulen herrschende «Inzucht» durchbrechen. Meine Wünsche habe ich in diesen Gesprächen in der Regel umsonst geäussert. CW: Was hat Sie dann bewogen, zur EPFL zu kommen? Zwaenepoel: Interessanterweise hatte die EPFL einen völlig anderen Ansatz. Die Hochschule kam auf mich zu und verlangte von mir genau das, was ich bei anderen Institutionen vorgeschlagen hatte. Ich hatte das Gefühl, hier etwas verändern zu können. So durfte ich junge Professoren aus der ganzen Welt anheuern und Studenten, meist Doktoranden, aus allen Herren Ländern. Trotzdem gab es auch Schwierigkeiten: Als ich zur EPFL stiess, stand Europa am Anfang des Bologna-Programms und die Lausanner ETH war sehr zurückhaltend, was die Umsetzung der Vereinbarung anbelangte. Ich fand aber, und konnte schlussendlich meine Kollegen davon überzeugen, dass in diesen Reformen riesige Möglichkeiten für die Hochschule stecken. CW: Wie haben Sie es dann geschafft, aus der EPFL eine der führenden Universitäten im Bereich Informatik zu machen? Zwaenepoel: Eine meiner ersten – damals sehr umstrittenen – Entscheidungen war es, ab dem Master-Level nur noch Englisch als Unterrichts- und Prüfungssprache zuzulassen. Dies hat aber eine extreme Öffnung bewirkt. Plötzlich konnten wir Professoren und Studenten aus der ganzen Welt nach Lausanne holen. Ein weiterer Punkt war, die Messlatte beim Abwerben kluger Leuten zu erhöhen. So fragte ich Thomas Henzinger von der UC Berkley und seine Frau Monika von Google an, ob sie nach Lausanne kommen wollten. Damals wurde ich von vielen verlacht. Schlussendlich kamen sie aber und lösten eine regelrechte Sogwirkung aus. Einerseits realisierten Lehrkräfte in den USA, dass es attraktiv sein könnte, an der EPFL tätig zu werden. Umgekehrt sahen unsere Leute, dass man solche Koryphäen an den Genfersee holen kann. Wenn man einmal die besten Leute hier hat, lässt man sie am besten frei gewähren. Das heisst: Vergeude nicht ihre Zeit mit zu viel Administration und Evaluation, sondern lass sie machen, was sie am besten können: forschen und lehren. CW: Lausanne war also in diesen Punkten offener als andere Hochschulen? Zwaenepoel: Das kann man so sagen. Zudem wurde mir an der EPFL gleich die Stelle als Dekan angeboten. Dadurch konnte ich natürlich mehr bewirken, als wenn ich lediglich eine Stelle als Professor erhalten hätte. Es war übrigens damals einzigartig für Europa, einen Dekan von auswärts zu holen und keinen Ansässigen. Auch mein Nachfolger kommt von auswärts. Ich denke das macht einen grossen Unterschied. Nächste Seite: Was der Schweizer Start-up-Szene fehlt CW: Sie haben sich immer wieder für Jungunternehmen engagiert. Wie ist der Boden für Start-ups in der Schweiz? Zwaenepoel: Als ich kam, gab es hierzulande so gut wie keine Start-up-Szene. Das Wort war gar nicht gebräuchlich. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, um nur annähernd eine Dynamik zu erreichen, wie sie im Silicon Valley herrscht. Trotzdem kann man feststellen, dass Studenten heute eine Start-up-Gründung zumindest in Erwägung ziehen. Früher dachten sie gar nicht an eine solche Option. Wir haben also Fortschritte gemacht. CW: Was fehlt der Schweizer Start-up-Szene? Zwaenepoel: Es gibt etwa noch Defizite, was den Leistungswillen anbelangt. In den USA arbeiten Start-up-Unternehmer fast rund um die Uhr. Hier wollen die Leute auch noch Freizeit haben. Man muss sich aber im Klaren sein, dass man sich zumindest in der Aufbauphase einer Jungfirma bedingungslos und ausschliesslich für diese engagieren muss.
Daneben hapert es beim Risikokapital, und zwar nicht nur was die Höhe des Betrags anbelangt. Auch das Prozedere, um an Geld zu kommen, ist hierzulande viel zu umständlich. Bei amerikanischen Venture-Kapitalgebern sind beispielsweise die Entscheidungswege kurz. Dort sagt Ihnen der Investor sofort, ob er Sie unterstützen will oder nicht. Bei uns wird man dagegen oft vertröstet und im Unklaren gelassen. In einer schnelllebigen Branche ist aber für derartiges Geplänkel keine Zeit.Schliesslich gibt es bei uns viele Start-ups, die wie jedes Jungunternehmen klein anfangen, deren Gründer aber nicht wirklich dramatisch wachsen wollen, sondern sich mit einer Kleinfirma begnügen. Daran ist zwar grundsätzlich nichts auszusetzen. Aber meiner Meinung nach sollten solche Firmen nicht unbedingt staatliche und institutionelle Gelder erhalten.
CW: Vor zwei Jahren hatten Sie versucht, aus den USA Start-up-Experten abzuwerben, die sich um Geldgebung, rechtliche Aspekte und sogar Marketingmassnahmen hätten kümmern sollen. Was ist daraus geworden?
Zwaenepoel: Da bin ich leider gescheitert. Die Idee ist aber nach wie vor gut. Denn für einen wirklich funktionierenden «Incubator» braucht es nicht nur ein Gebäude, sondern ein Anwaltsbüro, ein Notariat und eine PR-Firma. CW: Im Silicon Valley gibts sowas? Zwaenepoel: Und wie. Dort gibt es etwa Kanzleien, die aktiv potenzielle Jungunternehmen über die rechtlichen Aspekte auf Veranstaltungen informieren und dafür nicht einmal Geld wollen. Denn sie denken weiter. Sie investieren lieber viele Male vergebens in Start-ups, spekulieren aber darauf, einmal der rechtliche Beistand eines Senkrechtstarters wie Google oder Facebook zu werden. CW: Nicht nur die Experten, auch die US-Investoren bleiben der Schweiz noch fern, im Gegensatz zu Ländern wie Israel oder China. Woran liegt das? Zwaenepoel: Das Problem dabei ist auch die fehlende kritische Masse. Es handelt sich also um das klassische Huhn-Ei-Problem. Die Investoren kommen nicht, weil sie das Gefühl haben, dass es hier nichts zu verdienen gibt. Und es gibt nichts zu verdienen, weil niemand investiert. Diesen Teufelskreis wollte ich durchbrechen, was mir aber bislang nicht gelungen ist. Nächste Seite: Die Zukunft des Forschungsstandorts Schweiz CW: Zurück zur Forschung: Wo glauben Sie, müsste der Forschungsschwerpunkt der Schweizer Informatik liegen? Zwaenepoel: Eine riesige Chance hätten wir im Bereich Cloud-Computing und im Rechenzentrumsbetrieb. Die Schweiz ist nämlich als Standort für Data Center beliebt – mit den letzten Skandalen rund um die NSA noch mehr. Entsprechend könnten wir von einer konzentrierten Forschungstätigkeit in diesem Bereich am meisten profitieren. Mir würde ein Forschungszentrum vorschweben, in dem alle Aspekte des Rechenzentrumsbetriebs erkundet würden. CW: Sie sprechen im Konjunktiv. Woran fehlts? Zwaenepoel: Wir haben mehrmals versucht, hierfür Forschungsgelder zu erhalten, sind aber bislang gescheitert. Das Problem ist, dass die Informatik in der nationalen Forschungslandschaft der Schweiz ein Schattendasein führt. Die Disziplin wird beispielsweise vom SNF (Schweizerischer Nationalfond) sehr stiefmütterlich behandelt. Dass das etwa in den USA anders ist, sieht man allein schon, wenn man die Organigramme der entsprechenden Institutionen vergleicht. Während in den USA die Informatik neben der Physik und der Biologie gleichrangig aufgeführt ist, findet man beim SNF die Informatik erst auf der vierten Stufe. Der SNF lebt also noch im 20. Jahrhundert. Bei den Naturwissenschaften geht hier nach wie vor nichts über die Physik und Biologie. Deshalb ist es schlussendlich so schwierig, für Forschungsvorhaben in der Informatik Gelder zu erhalten. CW: Dagegen ist es Ihnen gelungen, eine Reihe von Firmen anzulocken, die in Forschung investieren. Ich denke an Microsoft, Nokia, Cisco, Elca und Credit Suisse IT. Was für Projekte konnten Sie mit diesen Firmen verwirklichen?
Zwaenepoel
: Es ging oft um sehr konkrete Themen. Mit Credit Suisse IT haben wir zum Beispiel ein Projekt im Bereich Energiemanagement und RZ-Kühlung verwirklicht. Mit Elca haben wir ein Projekt beendet, bei dem es um eine Online-Warteschlange ging. Die Firma betreibt einen Ticket-Dienst und hatte jeweils das Problem, dass ihre Server jeweils beim Verkaufsstart überrannt wurden. Wir haben nun ein System entwickelt, das wie das Nummern ziehen bei der Post funktioniert. Der Kunde erhält eine Position in der virtuellen Schlange und wird auch darüber informiert, wie lange es noch gehen wird. Für Cisco hat einer unserer Studenten mit seinem Tool deren Software getestet. Ausgesprochen fruchtbar war auch die Kooperation mit Nokia. Dort haben wir eine Reihe von Projekten im Bereich ortsabhängige Dienste verwirklicht. Ein sehr grosszügiger Partner ist Microsoft. Wir haben zusammen mit der ETHZ fünf Millionen Franken erhalten. Wir freuen uns dabei nicht nur über den Betrag, sondern sind auch stolz darauf, eine der wenigen Hochschulen weltweit zu sein, die Microsoft so aktiv und direkt fördert. CW: Was entwickeln Sie für Microsoft? Zwaenepoel: Wir haben viel im Bereich Embedded Computing geforscht. Bei einem Projekt ging es beispielsweise darum, verschlüsselte Algorithmen auf einem Smartphone auszuführen. Weitere Vorhaben drehten sich um den Energieverbrauch im Browser oder um eine Programmierumgebung für mobile Plattformen. Die Zusammenarbeit war sehr erfolgreich, da müssen wir wohl etwas richtig gemacht haben. CW: Sind die Ergebnisse dann in Microsofts eigene Forschungseinrichtung oder in die Entwicklungsabteilung geflossen? Zwaenepoel: Nein, die Ergebnisse wurden veröffentlicht. Es geht um ein Stipendium, nicht um einen Vertrag mit Microsoft. Wir hatten bei unseren Forschungsprojekten freie Hand. Hier ist Microsoft auch sehr offen - im Gegensatz zu dem, was viele denken.



Das könnte Sie auch interessieren